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"Schwanen-Schnee und Haar aus Gold":
Petrarkistischer Schönheitspreis bei Pietro Bembo und
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau


von Karin Rädle



Inhaltsverzeichnis:

1. Francesco Petrarca
2. Pietro Bembo
3. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau
4. Der Petrarkismus im Urteil der Literaturwissenschaft
5. Die literarische Gegenreaktion: Antipetrarkismus
6. Glossar - Erläuterung rhetorischer Termini
7. Sekundärliteratur



Bembos 5. Sonett der 1530 erschienenen "Rime" ("Crin d’oro crespo e d’ambra tersa e pura") und Hoffmannswaldaus Sonett "Beschreibung vollkommener schönheit", das im späten 17. Jahrhundert entstand, sind zwei Beispiele für die literarische Tradition des europäischen Petrarkismus: die langandauernde und intensive nachahmende Rezeption der Thematik, der Sprache und des Stils des zwischen 1336 und 1369 entstandenen "Canzoniere" Francesco Petrarcas.



1. Francesco Petrarca

"Canzoniere"
Petrarcas Lyriksammlung "Canzoniere" umfaßt 366 Texte, davon 317 Sonette. Aus den Texten läßt sich eine Geschichte rekonstruieren, die von der Begegnung des lyrischen Ich mit der Dame Laura, dem unerwiderten Liebeswerben, der Sehnsucht und Verzweiflung des Liebenden und dem Tod der Geliebten handelt. Der erste Teil, "In vita di Madonna Laura", besingt die lebende, der zweite Teil, "In morte di Madonna Laura", die tote Laura.

"Erano i capei d’oro a l’aura sparsi": Das 90. Sonett des "Canzoniere"
Das 90. Sonett gehört zum ersten Teil des "Canzoniere". Dennoch beschreibt das lyrische Ich die Schönheit Lauras in der Vergangenheitsform, wie aus der Erinnerung heraus. Dabei bleibt es unklar, ob der Sprecher sich an eine bestimmte Begegnung mit Laura in der Vergangenheit erinnert, ob durch die Vergangenheitsform bereits auf Lauras Tod angespielt werden soll oder ob in den Vergleichen mit der Gegenwart in Vers 4 und 13 der Verlust der Schönheit durch das Altern gemeint ist1. In jedem Falle wird durch die Projektion der Erinnerung in die Vergangenheit eine große Distanz zwischen dem Sprecher und der besungenen Laura erzeugt, die gleichermaßen und damit doppelt schmerzlich in der Gegenwart und in der Vergangenheit besteht. Lauras Name wird in dem Sonett zwar nicht genannt, doch ist er gewissermaßen verhüllt präsent in der Paronomasie "l’aura" (Vers 1)2. In gewisser Weise verschleiert bleibt auch der Charakter der Beziehung zwischen Laura und dem Sprecher3. Das Bild vom maßlosen Brennen ihres Blickes, dem der Sprecher ausgesetzt ist (Vers 3/4), das Bild vom Liebesköder (Vers 7) und von der unheilbaren Wunde (Vers 14) charakterisieren diese Liebe als unerwiederte, unerfüllte und schmerzliche Liebe des Sprechers zu Laura. Dennoch scheint es, als habe Laura eine Geste des Mitleids oder der Zuneigung gezeigt (Vers 5/6), so daß ihre Gefühle für den Liebenden wie für den Leser im unklaren bleiben, doch mit jeder neuen Hoffnung steigert sich wiederum der Schmerz des unglücklichen Liebenden (Vers 7/8).

Diese unerfüllte Liebe, deren so wesentlicher Bestandteil das Leiden an der Liebe ist, liegt als Liebeskonzeption dem ganzen Laura-Thema zugrunde. Die Beschreibung des Zustands und der widerstreitenden Gefühle des Sprechers orientiert sich an Metaphern des Verwundetseins ("Wunde", Vers 14), des Schmerzes ("und maßlos brannte...", Vers 3) und des Gefangenseins ("Liebesköder", V. 7). Die Geliebte ist zugleich die aktive Verursacherin dieser Schmerzen. Diese paradoxe Darstellung hat ihre sprachliche Parallele in der Verwendung von Oxymora zur Beschreibung der Geliebten: das "liebliche Licht" ihrer Augen brennt "maßlos" und verbrennt den Liebenden (Vers 3). In ähnlicher Weise können die "tausend süßen Knoten" (Vers 2) ihrer Haare in Verbindung mit der Metapher des Liebesköders (Vers 7) als Metonymie für die Metapher des Netzes verstanden werden, in dem sich der Liebende verstrickt hat; hier erscheint die Geliebte als Falle, aus der sich der Liebende nicht befreien kann. Andererseits wird die Gestalt der Geliebten in Metaphern der Kostbarkeit beschrieben ("Haare aus Gold", Vers 1), und der Preis ihrer Schönheit steigert sich vom Vergleich mit irdischen Pretiosen zum Übermenschlichen ("engelhafter Art", Vers 10; "himmlisches Wesen", Vers 12). Gleichzeitig wird durch den Übergang der Beschreibung von konkreten Körperteilen (Haar, Augen, Gesicht) zu ihrer Art, sich zu bewegen ("ihr Gang", Vers 9) und schließlich zu ihrer Stimme (Vers 11) eine Entkörperlichung und Entrückung ihrer ganzen Gestalt bis hin zu ihrer völligen Verklärung in der Sonnenmetapher (Vers 12) suggeriert. Obwohl die Entfernung der Geliebten vom Sprecher nun größer nicht sein könnte, kann er nicht anders, als sie immer weiter zu verehren, auch wenn sie, wie Vers 13 andeutet, inzwischen nicht mehr "sonnengleich" sein sollte. Die Liebespfeile haben den Liebenden längst unheilbar verwundet, und auch wenn der Bogen, mit dem sie auf den Weg gebracht werden, eines Tages erlahmen sollte: weder Tod noch Altern der Geliebten können seine Liebe zum Erlöschen bringen.



2. Pietro Bembo

"Prose della volgar lingua" und die Gedichtsammlung "Rime"
Die Nachahmung der Laura-Sonette Petrarcas, die in der Literaturwissenschaft mit der Bezeichnung "Petrarkismus" belegt wird, setzt in ihren Vorläufern erst ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein, als das Interesse am Dichten in der Volkssprache anstelle des Lateinischen größer wird. Zu einem dichterischen Programm erhoben wird die Petrarca-Imitation jedoch erst Anfang des 16. Jahrhunderts von Pietro Bembo mit der Schrift "Prose della volgar lingua", in der er Sprache und stilistische Elemente des "Canzoniere" als Vorbild und als literarische Norm des volkssprachlichen Versdichtens festlegt. Dies entspricht vollkommen dem herrschenden humanistischen Dichtungsverständnis; die Orientierung an klassischen (und das heißt bis dahin lateinischen) Vorbildern und ihre Nachbildung und Überbietung in der imitatio und aemulatio stellen das ästhetische Grundprinzip der an der Rhetorik orientierten Nachahmungspoetik der Zeit dar. Aufgabe des Dichters sollte es sein, das bekannte Material des Vorbildes in neuen Kombinationen zu präsentieren4. Die Reminiszenz an den Vorbildtext, die sich beim gebildeten Leser einstellte, wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern beabsichtigt: Der ästhetische Reiz des Gedichtes bestand im raffinierten und virtuosen Umgang mit den Details, mit den künstlerischen Elementen und Stilmitteln, die sich aus dem Vorbildtext gewinnen ließen5.
Diese Normen finden Anwendung in Bembos eigener Gedichtsammlung "Rime". Während sich diese Sammlung in ihrer inhaltlichen Gliederung weniger eng am "Canzoniere" anlehnt, sind in den Liebessonetten stilistische, motivliche und sprachliche Parallelen zu Petrarcas Laura-Sonetten bis hin zur Wortebene nachweisbar. Dies soll anhand des 5. Sonetts der "Rime" gezeigt werden.

"Crin d’oro crespo e d’ambra tersa e pura": Das 5. Sonett der "Rime"
Augenfällig ist die Übernahme der Struktur des Schönheitpreises, der anhand bestimmter körperlicher Qualitäten der Dame entwickelt wird. Petrarca nennt Haare, Augen, Gesicht, Gang und Stimme. Bembo übernimmt diese Elemente in dieser Reihenfolge, erweitert sie jedoch um das Lachen (Vers 5), die Lippen und Zähne (Vers 6), die Hand (Vers 8) sowie um geistige (Vers 10) und moralische (Vers 12) Qualitäten der Geliebten. Während bei Petrarca diese "Gegenstände" als solche angesprochen werden, werden sie bei Bembo zum großen Teil in schmückende (und leicht entschlüsselbare, da konventionalisierte) Metaphern umgewandelt. So erscheint die Gesichtsfarbe der Dame als "Schnee" (Vers 2), und das Motiv der Kostbarkeiten, die Pretiosenmetaphorik, begegnet mehrfach im Vergleich der Haare mit Gold und Bernstein (Vers 1), der Gleichsetzung von Lippen und Zähnen mit Rubinen und Perlen (Vers 6) und der elfenbeinernen Hand (Vers 8). Während bei Petrarca diese Qualitäten jedoch die Rolle des Schönheitspreises durch ihre Wirkung auf den Liebenden erfüllen, indem die Haare ihn fesseln, die Augen ihn verbrennen und ihre Bewegung und Stimme ihm übermenschlich erscheinen, erschöpft sich Bembos Beschreibung in der Aufzählung eines erweiterten Kataloges kunstvoll arrangierter Einzelteile und Eigenschaften. Die Stilfigur der enumeratio, der ausmalenden Aufzählung der Teile und Eigenschaften eines Gegenstandes, liefert hier das rhetorische Gestaltungsprinzip.

Diese rigide stilistische Durchformung der Glieder der enumeratio hat in der syntaktischen Gestaltung des Sonetts eine Parallele. Im Gegensatz zu Petrarcas Sonett, das aus mehreren Satzgefügen besteht, mehrere Relativsätze und sogar eine eingeschobene Frage enthält, besteht Bembos Sonett von Vers 1 bis 13 aus einem einzigen Satz mit dem Verb "fur" in Vers 13, als dessen Subjekt die gesamte Aufzählungsreihe von Vers 1 bis 12 angesehen werden muß. Diese Reihe ist parallelistisch konstruiert; mit wenigen Ausnahmen, die sich über zwei Verse erstrecken, nimmt je ein Beschreibungsgegenstand eine Zeile ein, so daß jeder Vers mit der Benennung des Gegenstandes beginnt, gefolgt von den Eigenschaften, die ihm zugesprochen werden. Diese syntaktische Form wird erst im zweiten Terzett aufgebrochen, als der in Vers 1 begonnene Satz vollendet wird. Hier findet sich in dem mit "und" angehängten zweiten Satz die inhaltliche Quintessenz der Aufzählung: alle gepriesenen Qualitäten der Geliebten werden summiert im Ausdruck der "grazie", der vom Himmel verliehenen - und mit einem abstrakten Oberbegriff bedachten - Gnaden.


Die Verfahren der imitatio und aemulatio bei Bembo
Um Bembos Vorgehensweisen und Methoden der Petrarca-Imitation näher zu beleuchten, soll nun im Vergleich der beiden Sonette versucht werden, seinen Umgang mit dem bei Petrarca vorgefundenen Material im Überblick darzustellen. Es handelt sich dabei um bestimmte Themen, Motive und Bilder einerseits sowie sprachlich-rhetorische Techniken andererseits.
Zunächst waren die Übernahme der konventionellen Schönheitsmerkmale der Dame und ihre Anordnung in absteigender Reihenfolge aufgefallen. Hier wurde bereits festgestellt, daß Bembo diese Elemente als Hauptinhalt in den Vordergrund der Beschreibung rückt, indem er sie unter Beibehaltung der Reihenfolge zu einem regelrechten Katalog erweitert. Die syntaktische Gestaltung des Sonetts mit dem stark parallellistischen Aufbau der Verszeilen erscheint diesem Katalogisierungsprinzip funktional zugeordnet. Bembo übernimmt damit einen Teilaspekt des petrarkischen Schönheitspreises, um ihn - im Sinne einer stilistischen aemulatio - zum motivlichen und formalen Gestaltungsprinzip seines Sonetts zu machen, und verzichtet auf eine vielschichtigere Darstellung, die, wie in Petrarcas 90. Sonett, die Wirkung der Schönheit auf den Liebenden, die Art der Beziehung zwischen der Dame und dem Sprecher oder eine Zeitstruktur zum Ausdruck bringt.

Bei Petrarca lebt die Darstellung der Schönheit Lauras wesentlich davon, daß ihre Lieblichkeit mit der verheerenden Wirkung ihrer Person auf den Liebenden kontrastiert wird. Es sei als Beispiel nur das "liebliche Licht" ihrer Augen (Vers 3/4) genannt, das den Sprecher versengt. Das rhetorische Mittel der Antithese findet auch bei Bembo Verwendung. Zum einen dient es zur Untermalung und Verstärkung des Schönheits- und Tugendpreises (dunkle Nacht - heller Tag, Vers 4; reifer Geist - grünstes Alter, Vers 10), zum anderen aber wird damit in Vers 8 auf das petrarkische System der Schmerzliebe, das Leiden des Liebenden an der Geliebten, angespielt. Das Bild von der Hand, die das Herz zerreißt, fällt völlig aus dem Rahmen der durchgehend positiven Attribuierungen und kann nur als Zitat des petrarkischen Liebesleidens verstanden werden, welches im Sonett sonst nirgends aufgenommen und thematisiert wird.

Während also Bembo in seinem 5. Sonett einen Aspekt der Darstellung und Gestaltung bei Petrarca herausgreift, ausweitet und zur dominierenden Struktur erhebt, verzichtet er dennoch nicht auf die Heranziehung weiterer Elemente, die jedoch dem neuen Schwerpunkt untergeordnet werden und teilweise als isolierte Zitate stehenbleiben. Dies geschieht selbst mit einzelnen Wörtern, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und in neue Zusammenhänge übernommen werden. Das auffälligste Beispiel ist Petrarcas Wortspiel mit dem Namen "Laura" und "l’aura", dem Wort für "Luft", das auch in Bembos Sonett vorkommt6. Diese Paronomasie kann nur in Beziehung auf Petrarca funktionieren, da Bembos Dame diesen Namen überhaupt nicht trägt. Doch auch das "Gold" der Haare taucht auf, die "Sonne", hier auf das Strahlen der Augen bezogen, das "Brennen", hier als das Feuer der Liebe, das Adjektiv "süß" sowie das Wort "esca" mit der Grundbedeutung "Speise", bei Petrarca im Sinne von "Köder", bei Bembo als "Zunder".

Bembos poetische Methode besteht demnach darin, aus dem Repertoire der Motive und Bilder, des Wortschatzes und der rhetorischen Mittel des Vorbildes Petrarca Elemente auszuwählen, neu zu kombinieren und begrenzt zu variieren. Die Kunst besteht im Rahmen dieses Dichtungsverständnisses im virtuosen - und das heißt immer auch dem Stil und Ton des Vorbildes angemessenen - Umgang mit bekanntem und freiwillig begrenztem Sprach- und Ausdrucksmaterial. Dabei bleibt die Grundthematik, die Situation der unerfüllten Liebe, im wesentlichen unverändert. Aus diesen Gründen wird in bezug auf Bembo häufig von einem "rigiorosen"7 oder "orthodoxen"8 Petrarkismus gesprochen. In den Grundzügen ist das an Bembos Sonett demonstrierte Verfahren jedoch allgemein als das Verfahren anzusehen, das zur Konstituierung des "petrarkistischen Systems" als eines verfügbaren erotischen Diskurstyps, als einer möglichen Sprechweise über Liebe und Intimität geführt hat.

Europäische Rezeption des Petrarkismus
Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts findet die petrarkisierende Liebesdichtung Eingang in die Literaturen der übrigen europäischen Länder: Spanien, Portugal, Frankreich, England und die Niederlande. In Deutschland setzt der Petrarkismus zeitversetzt wesentlich erst mit Georg Rodolf Weckherlin und Martin Opitz ein, zum einen über die Übersetzung von Petrarca-Sonetten, zum anderen vermittelt über die Rezeption verschiedener europäischer Petrarkisten9. Als bedeutendster deutscher Petrarkist (aber keineswegs nur als Petrarkist) gilt Paul Fleming (Teütsche Poemata, 1646 postum). Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verliert der Petrarkismus als erotischer Diskurstyp dann auch in Deutschland an Bedeutung. Das Sonett "Beschreibung vollkommener schönheit" von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau steht damit mit am Ende der deutschen Petrarkismustradition.



3. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau

Petrarkismus und Manierismus
Das Sonett "Beschreibung vollkommener schönheit" entstammt dem Werk des "reifen" Hoffmannswaldau. Dieses wurde neben dem Werk Daniel Casper von Lohensteins stilistisch prägend für den barocken Manierismus, den üppig wirkenden, häufig negativ als "schwulstig" und "gekünstelt" charakterisierten Sprachstil des Spätbarock. Dieses negative Geschmacksurteil macht jedoch leicht vergessen, daß die rhetorisch-stilistischen Verfahren, die ein dem literarischen Manierismus zuzurechnendes Gedicht ausmachen, sich als solche nicht unterscheiden von denen, die in der nicht-manieristischen Barocklyrik Verwendung finden. Manieristische Lyrik zeichnet sich demnach lediglich dadurch aus, daß sie die Kunstgriffe ihrer Gestaltung im Sinne sprachlicher (und auch inhaltlicher) "Artistik" überhöht und sichtbar macht; das Vergnügen des Lesers an der Geschicklichkeit des Dichters im Umgang mit der Sprache, am überraschenden Ausdruck und am Anspielungsreichtum ist Teil der künstlerischen Absicht10.
So steht Hoffmannswaldaus Sonett "Beschreibung vollkommener schönheit" sowohl inhaltlich als auch in bezug auf die rhetorischen Mittel in der Traditionslinie des Petrarkismus; was Hoffmannswaldaus Sonett vom Petrarkismus Bembos und noch mehr von Petrarca selbst unterscheidet, ist die verstärkte Funktion der sprachlichen und inhaltlichen Ausgestaltung, auf die im Sonett präsentierte Virtuosität und Erfindungskunst zu verweisen.

"Sonnet. Beschreibung vollkommener schönheit."
Hoffmannswaldaus "Beschreibung vollkommener schönheit" beschreibt in einer asyndetisch gereihten enumeratio in der Weise des petrarkistischen Schönheitspreises die einzelnen Elemente der Schönheit einer geliebten Dame. Diese Aufzählung mündet in eine Schlußfeststellung, die nur den letzten Vers umfaßt und in pointenhafter Weise das Ausgeliefertsein des Sprechers an die Schönheit der Geliebten konstatiert.
Ähnlich wie das 5. Sonett von Bembo besteht Hoffmannswaldaus Sonett nur aus einem einzigen langen Satz, dessen Subjekt von einer sich über 13 Verse erstreckenden Aufzählung gebildet wird und dessen Vollendung und syntaktische Vervollständigung erst im letzten Vers gegeben wird. Dabei weisen die einzelnen parallelistisch gebauten Glieder der Aufzählungsreihe durchgehend dieselbe syntaktische Struktur auf: jedes beschriebene Element wird zunächst durch ein Zahlwort ("ein" oder "zwei"), dann durch einen Relativsatz bestimmt. Diese strenge Form wird durchgehalten, auch wo dies der Grammatik zuwiderläuft: Das Zahlwort (bzw. der unbestimmte Artikel) "ein" ist mit der Stoffbezeichnung "Haar" in Vers 1 unüblich konstruiert. Die Gegenstände der Aufzählung in Vers 1 bis 12 finden zum Schluß des Sonetts eine Zusammenfassung im Ausdruck "zierrath" in Vers 13, wobei hier ein weiterer Kunstgriff der formalen Gestaltung sichtbar wird: Vers 13 und 14 bilden aufgrund des Reimschemas und der inhaltlichen Zusammenfassung einen abschließenden Zweizeiler mit dem pointenhaften Charakter eines Epigramms11.

Der Wille zu starker Stilisierung und origineller Formgebung läßt sich auch im sprachlichen Ausdruck nachvollziehen. So ist die für den petrarkistischen Frauenpreis typische Pretiosenmetaphorik (Perlen, Rubin, Alabaster, Zierat) ausführlich vertreten. Die Körperteile treten dabei durchgehend personifiziert als Handelnde auf: Das Haar "spricht trotz" (Vers 1), der Mund "führt rosen" und "heget perlen" (Vers 2) usw. Hyperbeln in der Auswahl der Prädikate bewirken starke Bewegung: Rubin "bricht durch alabaster" (Vers 4), die zarten Arme der Dame haben "offt leuen hingericht" (Vers 8). Die Stilfigur der anticipatio findet in Vers 11 und 12 Verwendung: die Vokabel "grimm", "Ungemach", die eigentlich das Ergebnis der Handlung der Hände beschreibt, wird vorweggenommen und den Händen selbst als Attribut zugeordnet. Insgesamt zieht sich die Hyperbel als Stilfigur durch das ganze Sonett. Das Weiß der Haut erscheint verdoppelt als "schwanen-schnee" (zusätzlich durch die Alliteration verziert) und sticht diesen ebenso verdoppelt "weit weit" zurück (Vers 5), Zierat scheint "im paradieß gemacht" (Vers 13). Mitunter wird die Hyperbel zusätzlich mit antithetischer Ausdrucksweise kombiniert: das "zünglein" erscheint im Diminutiv, vergiftet jedoch "tausend hertzen" (Vers 3), das "wort" der Dame ist "himmlisch", doch kann es zugleich "verdammen" (Vers 10). Die hyperbolische Gestaltung bestimmt auch die gelehrten Anspielungen auf die antike Mythologie. Die Entlehnung der "Locke der Berenike" gewinnt dem ursprünglichen Mythos einen völlig neuen Aspekt ab. Diese Haarlocke wurde der Mythologie nach von ihrer Besitzerin, der ägyptischen Königin Berenike, zum Dank für den Sieg ihres Gatten den Göttern geweiht und durch göttliche Einwirkung zum Sternbild gemacht12. In Catulls Carmen 66 spricht die zum Sternbild gewordene Locke zu ihrer ehemaligen Besitzerin und verlangt ein Salbenopfer13. Von einer außerordentlichen Schönheit dieser Locke ist im Mythos nicht die Rede; diese Eigenschaft wird ihr in Hoffmannswaldaus Sonett durch die Verschränkung der "Verselbständigung" der Locke ("spricht trotz", Vers 1) mit dem Schema des petrarkistischen Schönheitspreises als überraschende neue Sicht zugesprochen. Zweifach verkleidet scheint auch die Metapher von der "pracht der Flora" in Vers 6. Hier tritt das Rot der Wangen über die Zwischenstufe des Blühens in Gestalt der römischen Göttin der Blumen und Blüten auf.

Neben dieser überwiegenden Konzentration auf die Ausgestaltung des Schönheitspreismotives bleibt das Thema, dem die rhetorische Ausformung bei Petrarca ursprünglich zugeordnet ist, stark im Hintergrund. Das Konzept der Schmerzliebe wird zwar durch Reizwörter wie "gifft" (Vers 3), "blitze" (Vers 7), "verderben" (Vers 9), "bann" (Vers 11) bzw. "freyheit" (Vers 14) aufgerufen, im Sonett selbst jedoch kaum entwickelt. Die Wirkung der Geliebten und ihrer Schönheit, die sich in Petrarcas Sonett auf verhängnisvolle Weise allein auf den Sprecher konzentriert, bleibt bei Hoffmannswaldau infolge der allgegenwärtigen Hyperbolik im Allgemeinen: es sind "tausend hertzen", die ihre Schönheit in den Bann zieht, es sind "männer" ohne zahlenmäßige Spezifizierung, die ihrem Blick erliegen. In dieser Streuung ist eine Vorstellung von zerstörerischer Liebesqual nicht herzustellen, auch nicht durch das zusätzliche Aufrufen der topischen Vorstellung vom Irrsinn und Wahn des Liebenden in Vers 14 ("witz"). Der epigrammatische Schluß, der eine Allgemeingültigkeit des Inhalts suggeriert, macht vollends deutlich, daß in diesem Sonett allgemein Bekanntes, Topisches neu formuliert wird. Zudem beinhaltet er eine Pointe, die jenseits des Inhalts noch einmal auf die poetische Wortkunst des Gedichtes an sich verweist:

Die Schönheit bringe ihn um "witz" (also etwa ‘Einfälle’ und ‘Kombinationskunst’) und "freyheit", heißt es, obwohl der metaphern- und anspielungsreiche Text vorher genau das Gegenteil beweist. Der Sprecher zeigt in der Abschlußpointe seinen ‘Witz’, und er rückt das Sonett als ganzes gleichzeitig in eine Art kontrollierender Distanzierung. Es wird die Ohnmacht vor der Schönheit vorgegeben und gleichzeitig formal genau das Gegenteil demonstriert: Vollkommene Kunstbeherrschung nämlich. 14

Zudem wird in der Beschreibung der Geliebten eine Intimität hergestellt, die sich nicht mit der Vorstellung von der entkörperlichten und vergöttlichten Laura in Petrarcas Sonett vereinbaren läßt. Die Verniedlichung des "Züngleins" und vor allem die farbenreiche und plastische Beschreibung der Brüste geben der Darstellung der Geliebten einen deutlich irdischen und erotischen Zug. Damit erscheinen die von Petrarca entlehnten stilistischen und motivlichen Elemente vollständig losgelöst von der für die Laura-Sonette konstitutiven Liebeskonzeption.



4. Der Petrarkismus im Urteil der Literaturwissenschaft

Angesichts des Umgangs der Petrarkisten mit den motivlichen und rhetorisch-sprachlichen Gegebenheiten des "Canzoniere" Petrarcas hat die Forschung in der Mehrzahl abfällige Urteile geäußert15. Dabei vermischen sich häufig etwa die Kritik an der Stilfixiertheit der Petrarkisten einerseits mit einem romantisierenden, an der Genieästhetik orientierten Literaturverständnis andererseits, das dem vom Prinzip der imitatio geleiteten literarischen Selbstverständnis16 Petrarcas und der Petrarkisten nicht angemessen ist. Besonders problematisch ist der Versuch, Petrarca und die Petrarkisten nach dem Kriterium der "Wahrheit" und "Echtheit" des Gefühls unterscheiden zu wollen. Von Petrarca sind Arbeitsnotizen überliefert, die belegen, wie überlegt und gezielt er den Gefühlsausdruck seiner Gedichte gestaltete. So lautet eine Notiz zur Canzone Nr. 268, die von Lauras Tod handelt: "Non videtur satis triste principium" ("Der Anfang scheint noch nicht traurig genug")17. Der Vorwurf, die Arbeit der Petrarkisten sei bloßes Handwerk, die Lyrik Petrarcas dagegen unmittelbarer Ausdruck selbst empfundener Gefühle, geht daher sowohl an der dichterischen Intention der Petrarkisten als auch an der Dichtungsauffassung Petrarcas vorbei, zumal Petrarca selber zu den Promotoren der von der "Theorie der Imitatio" bestimmten literarischen Kultur des frühneuzeitlichen Europa gehört18.

5. Die literarische Gegenreaktion: Antipetrarkismus

Erwähnt sei schließlich noch ein literarisches Phänomen, das eine zeitgleiche und begleitende innerliterarische Auseinandersetzung mit dem Petrarkismus darstellt: der Antipetrarkismus. Unter diesen Begriff faßt die Literaturwissenschaft eine Fülle von Texten unterschiedlicher Gattungen, die in komisierender und parodistischer Weise auf Elemente des Petrarkismus Bezug nehmen19. Dabei zeigt die Tatsache, daß verschiedene Dichter sowohl "petrarkistische" Gedichte als auch "antipetrarkistische" Parodien verfaßten20, daß der Petrarkismus nicht die Petrarca-Nachfolge als Selbstzweck, sondern eine aus Petrarcas "Canzoniere" abgeleitete und entwickelte Sprechweise über die Liebe darstellt und bereits zeitgenössisch als einer von mehreren möglichen Diskurstypen aufgefaßt wurde, der als solcher isolierbar und dadurch parodierbar war.

Primärtexte
Glossar - Erläuterung rhetorischer Ausdrücke
Sekundärliteratur




Anmerkungen:

1 Hans-Jürgen Schlütter: Sonett. Mit Beiträgen von Raimund Borgmeier und Heinz Willi Wittschier. Stuttgart 1979, S. 29

2 In anderen Sonetten variiert Petrarca den Namen Lauras in weiteren Paronomasien. Vgl. Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt am Main 1964, S. 196-199.

3 Schlütter, Sonett, S. 29

4 Vgl. Friedrich, Epochen, S. 313

5 Friedrich, Epochen, S. 317

6 Schlütter, Sonett, S. 33

7 Klaus W. Hempfer, Probleme der Bestimmung des Petrarkismus. Überlegungen zum Forschungsstand. In: Die Pluralität der Welten. Aspekte der Renaissance in der Romania. Hg. von Wolf-Dieter Stempel und Karlheinz Stierle. München 1987, S. 256

8 Klaus W. Hempfer, Die Pluralisierung des erotischen Diskurses in der europäischen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts (Ariost, Ronsard, Shakespeare, Opitz). In: Germanisch-romanische Monatsschrift, Neue Folge 38 (1988), S. 254

9Weckherlin (erste petrarkistische Lyrik veröffentlichte er 1616) griff v.a. auf die Dichter der Pléiade zurück, Opitz (Buch von der Deutschen Poeterey 1624, Teutsche Poemata 1624) darunter v.a. auf Ronsard.

10 Vgl. dazu Zymners Entwicklung des Manierismusbegriffs in Rüdiger Zymner, Manierismus. Zur poetischen Artistik bei Johann Fischart, Jean Paul und Arno Schmidt. Paderborn u.a. 1995, S. 59-65

11 Gudrun Beil-Schickler, Von Gryphius bis Hofmannswaldau. Untersuchungen zur Sprache der deutschen Literatur im Zeitalter des Barock. Tübingen und Basel 1995, S. 103

12 Der kleine Pauly. Lexikon der Antike. Auf der Grundlage von Pauly’s Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Hg. von Konrat Ziegler und Walther Sontheimer. München 1979. Bd. 1, S. 864

13 Catull, Gedichte. Lateinisch-deutsch. Hg. von Werner Eisenhut. München und Zürich 1986, S. 134-141. Dazu existiert eine griechische Vorlage von Kallimachos.

14 Zymner, Manierismus, S. 26

15 Schlütter beispielsweise spricht von "Ausschlachten" und "Umstülpen" (Schlütter, Sonett, S. 32); der Petrarkismus insgesamt wurde in einem noch heute vielzitierten Aufsatz Arturo Grafs aus dem Jahre 1888 als "Krankheit" bezeichnet (Hempfer, Probleme, S. 254).

16 Vgl. dazu den Aufsatz von Peter Brockmeier: Imitatio und Ingenium in der Lyrik. Quellen und Variationen von Petrarcas Sonett Passa la nave mia colma d’oblio. In: Arcadia 26 (1991), S. 33-49

17 Kindlers neues Literaturlexikon. Hg. von Walter Jens. München 1991. Bd. 13, S. 170

18 Vgl. dazu Hermann Gmelin: Das Prinzip der Imitation in den romanischen Literaturen der Rennaisance. In: Romanische Forschungen 46 (1932), S. 83-360, bes. S. 118ff.

19Ein Beispiel für Antipetrarkismus in der Prosa liefert Theodor Verweyen: Komische Intertextualität im Simplicissimus: am Beispiel des Antipetrarkismus. In: Andreas Gößling / Stefan Nienhaus (Hg.), Critica Poeticae. Lesarten zur deutschen Literatur. Hans Geulen zum 60. Geburtstag. 1992. Im übrigen weist Fechner nach, daß das Wort "Petrarkismus" selbst ein ursprünglich abschätziger Begriff der antipetrarkistischen Tradition ist (Jörg-Ulrich Fechner: Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik. Heidelberg 1966, S. 137)

20 Dazu gehören neben dem Italiener Giovanni della Casa (1503-56) die Dichter der Pléiade und auch Opitz. Vgl. folgendes Sonett aus dem VII. Kapitel des "Buches von der Deutschen Poeterey" (z.B. in der Reclam-Ausgabe, hg. von Cornelius Sommer, Stuttgart 1970, S. 54; dazu Verweyen, Komische Intertextualität, S. 47f.):

Sonnet.

Du schöne Tyndaris / wer findet deines gleichen /
Vnd wolt’ er hin vnd her das gantze landt durchziehn?
Dein’ augen trutzen wol den edelsten Rubin /
Vnd für den Lippen muß ein Türckiß auch verbleichen,

Die zeene kan kein goldt an hoher farb’ erreichen /
Der mundt ist Himmelweit / der halß sticht Attstein hin.
Wo ich mein vrtheil nur zue fellen würdig bin /
Alecto wird dir selbst des haares halber weichen /

Der Venus ehemann geht so gerade nicht /
Vnd auch der Venus sohn hat kein solch scharff gesicht;
In summa du bezwingst die Götter vnnd Göttinnen.

Weil man dan denen auch die vns gleich nicht sindt wol /
Geht es schon sawer ein / doch guttes gönnen soll /
So wündtsch’ ich das mein feind dich möge lieb gewinnen.