Erlanger Liste



Karl Hoche

Die Sache mit Zahrnt


Erstes Kapitel:
Das alte Fragen nach Gott

Es sieht so aus, als hätte Gott einen Unfall gebaut. Die Geschwindigkeit theologischer Reflexion ist überschritten worden, schlechte Erfahrungen bei ähnlichen früheren Fahrten, also die »Vorfahrt«, wurden mißachtet, und einige wilde Spekulationen leitender Herren erinnern an die Trunkenheit am Steuer. Das Christentum hat zerbeulte Kotflügel. Was nützt es uns, wenn der Richtungsanzeiger noch funktioniert? Funktioniert er noch?

Die Frage nach Gott steht »im Protokoll«. Gibt es ihn? Wo steht er in der »Prioritätenliste«? Wie konnte es dazu kommen? Hat er einen Tick? Das alles sind gleichsam vernünftige Fragen, die sich aus einer bestimmten Situation ergeben. Aber diese Fragen bedeuten mehr. Der Mensch verwirklicht sich als ein Fragender, er wird geboren unter dem Zeichen des »Fragezeichens«. Verhaltensforschung, Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Medizin lehren, daß seine Fragen vom Konkreten zum Allgemeinen fortschreiten, sie können im Zustand der »Mündigkeit« in die Frage nach Gott »münden«. In dieser Frage fragt er jedoch nicht nach Gott, sondern er hinterfragt sich selbst als Fragender. Viele theologische Schrift-steller »stellen« diese Frage, und es ist kein Zufall, daß Schrift-steller und Frage-steller etwas gemeinsam haben, nämlich das »Stellen«, was auf den »Stellen-wert hindeutet, den sie dieser Frage einräumen. Man will nicht auf die Wahrheit insistieren, man will sie existieren. Die Frage nach Gott ist die radikalste Frage nach der Möglichkeit des Fragens überhaupt.

Auf diese ständige Frage nach Gott gibt das Christentum eine Antwort. Sie klingt vergleichsweise einfach, ist aber ziemlich kompliziert. Die Antwort auf die Frage nach Gott ist das Reden von Gott. So wie wir fragend Gott immer wieder dem »konstruktiven Mißtrauensvotum« unterwerfen, so muß das Reden von Gott in immer neuer Weise ausgehalten werden. Es ist daher die Aufgabe des Theologen, das Fragen nach Gott mit dem ständigen Reden von Gott zu beantworten. So wie das Fragen nach Gott zur Frage nach dem Fragbaren wird, so wird das Reden von Gott schlechthinnig zum Reden über das Reden, es wird also »frag-würdig«, das heißt, der Frage würdig. »Das Medium ist die Frohbotschaft«, könnte man, das Wort McLuhans leicht abwandelnd, sagen.

Das Reden von Gott hat zwei Bestandteile, nämlich das Reden »Logos« und Gott »Theos«. Beide bilden in dem Wort »Theologie« ein »Junktim«. Es ist keine Frage, daß Gott auch nach dem »Verlust der Mitte« seine Rolle spielt, die »intellektuelle Redlichkeit« gebietet es festzustellen, daß er das »Prinzip Hoffnung« bleibt. Er ist auch »nach Auschwitz« für uns »der Größte«. Aber man hatte dabei zu sehr übersehen, daß es heißt »Im Anfang war das Wort« (Joh. 1,1). Die starke »Aufwertung« des Redens, auch wenn der Rede-»wechsel« noch nicht die nötige »Bandbreite« erreicht hat, gab dem Wort »Theologie« die »prästabilierte Harmonie« zurück und erklärt unsere »Unfähigkeit zu trauern«. Dabei hat das Reden von Gott einen »Lernprozeß« durchgemacht, auf einem »Langen Marsch« kamen wir zur »Einsicht in die Notwendigkeit«, daß in der total verwalteten Welt das »Buch der Sprüche« die Zeitung ist. Das läßt uns erneut die Sinnfrage stellen.

Da der neu von Gott Redende zuerst nach Gott gefragt haben muß, sind Fragender und Redender, sind die Frage nach Gott und das neue Reden von Gott dialektisch miteinander vermittelt, sie wollen zusammengenommen werden. Mit anderen Worten, das neue Reden von Gott beantwortet nicht die alten Fragen, wohl aber eine neue, die Frage nämlich, ob man auf eine neue Weise von Gott reden könne. Somit wird Gott eine Art, davon zu reden, eine »Redensart«. Wenn man sich auf solche Reden »einläßt«, dann fordert das Stellen »letzter Fragen« eine Antwort heraus, die »das Letzte« ist. Gott verhält sich nicht nur, er ereignet sich.


Zweites Kapitel:
Das neue Reden von Gott

Christentum bedeutet die »Offenheit nach vorn« in die Zukunft und den »Mut zur Lücke«. Mit dieser Meinung sind wir nicht zum »fellow traveller« einer gewissen »Oben-ohne-Theologie« geworden, die allein das Denken im Geschichtlichen anerkennt und damit in ihrem horizontalen Engagement nur nach hinten offen ist, da ihr das Wissen um das absolute Du fehlt. Dabei kann es doch nur der vertikale Imperativ sein, der uns inmitten der von der modernen Leistungsgesellschaft verschuldeten »Unwirtlichkeit der Städte« in die Horizontale drängt.

Auch für uns, die wir mit der Bombe leben müssen, trägt das Evangelium die Überschrift »to whom it may concern«, es »trifft« uns in dem Maße, wie es uns »be-trifft«. Es ist für uns existentiell erfahrbar, und zwar nicht nur als theologisches »Existenzminimum«. Seine »Zeugenaussage« ist beispielsweise das Ereignis der konkreten Integration von Göttlichem und Menschlichem in Jesus. Und es ist gerade die Integration, die uns auf den Nägeln brennt im Zeitalter der EWG.


Vorlage ist das theologische Werk »Die Sache mit Gott - Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert« von Heinz Zahrnt (1966).
Quelle: Karl Hoche, Schreibmaschinentypen und andere Parodien, München 1972.

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung Karl Hoches. Jede Vervielfältigung dieses Textes ohne Einwilligung des Autors ist untersagt!

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