Hanns von Gumppenberg
DER MANN UND DIE BUCHE
An der rostbraunen Berghalde stand eine mächtige Buche. Und an
dem schwülen Himmel stand ein Gewitter.
Die mächtige Buche stand eine halbe Stunde allein, unter dem schwülen
Himmel, an dem ein Gewitter stand. Dann aber stand ein flnsterer schwarzhaariger
Mann vor der mächtigen Buche und stieß einen schrecklichen Fluch
aus. Der schreckliche Fluch hallte wider von der rostbraunen Berghalde
und dem Gewitterhimmel, der noch immer darüber stand.
Gleich darauf stand der finstere schwarzhaarige Mann nicht mehr vor
der Buche: denn es hatte zu hageln begonnen, und er hatte den Verstand
verloren.
Aber die Buche stand noch immer an der rostbraunen Berghalde, mitten
im Hagel, denn es war eine mächtige Buche.
nach Paul Scheerbart
DIE ENTDECKUNG
Ein Seelenstand
Langsam schlenderte er, ganz langsam. Beinahe langweilig. Schritt um
Schritt querauswerfend, links, rechts, und wieder rechts. Und um die Ecke,
und wieder zurück. Ganz langsam.
Wie gesagt: beinahe langweilig.
Die Maximilianstraße hinauf, und wieder zum Hofgartentor. Und
wieder, und dann zurück, und wieder zurück. - Aber endlich, vor
dem Tor, die Schritte zusammenwerfend, querein, hielt er an, sah hinauf
und hinunter, hinunter und hinauf, und wieder, lange. Und dann streckte
er sich und gähnte.
Gähnte.
Gähnte schwelgend, langausarbeitend, mit Behagen, beinahe.
Und da kam etwas Reinigendes, Zufriedenstellendes. Erst nur wie Ungeduld,
und so unbestimmt.
Aber doch etwas.
Etwas wie Ärger, daß er mit plötzlichem Antrieb die
Halbschuhe scheuern ließ, rasch und rascher, wieder queraus.
Aber dann blieb er dennoch stehen. Denn jetzt wußte er es immer
deutlicher.
Das heißt: es wollte kommen. Es keimte herauf, mit ersten
weißgrünen
Hoffnungsspitzen, durch die schweren Schollen seiner Empflndung,
zerbröckelnd,
siegreich. Es war ein Wunsch, ja. Ein Verlangen, beinahe.
Und da war es wieder, wahrhaftig!
Und wuchs immer höher.
Höher.
Leider. Denn es war ihm noch nicht klar.
Und doch war es etwas. Und schon da, beängstigend, beinahe.
Und er wußte noch immer nichts.
Nichts, ganz unzweifelhaft.
Und es sollte doch sein! Er sollte ja doch ringen darnach, ehrlich,
lebhaft, beinahe.
Das wußte er, freillch. Nun ja. Und endlich mußte es doch
klar werden. Dennoch.
Es kam ja nur auf ihn an. Er brauchte ja nur zu warten. Und er wartete
ja bereits, ohnedies.
Sonst konnte es nicht kommen. Woher denn sonst? Vielleicht redete er
es sich eben nur ein, das Ganze. Vielleicht nur vom Gähnen. Es war
so unvermutet gekommen. Eine Störung, Medizinisches, Zirkulation,
oder dergleichen.
Oder Liebe? Eine Kokotte?
Nein. Er mußte lächeln. Die Lederwangen zurück, schlaff,
quappelig, runzelnd, wie die Hautringe einer Griessuppe, und die Zähne
vor, grellweiß ans Tageslicht. Eingesetzt, natürlich. Schon
lange.
Oder Hunger, vielleicht?
Er lächelte wieder, lachte, beinahe. Davon kam er ja. Er konnte
sich erinnern. Der Kellner, und füuf Mark hatte es gemacht. Ein Knopf
war abgesprungen, von dem Frack, ganz oben, und er hatte ihn aufgezogen,
zum Nachtisch, unbarmherzig, und kein Trinkgeld o bendrein.
Das wußte er also doch. Und genau.
Aber was? Es blieb doch seltsam.
Hin und her, bohrend, ohne Beschwichtigung, wie Geburtswehen, beinahe,
und immer seltsamer.
Als sollte etwas Ganzes dabei herauskommen - ganz etwas Ganzes.
Wenn er nur einmal das Gefühl hatte, auf der Zunge, namentlich,
dann konnte es ja wohl herauskommen. Denn dann kam wohl auch schon der
Begriff.
Auf der Zunge, ja. Das Gefühl, und auf der Zunge mußte es
kommen. Auf weichen, träumerisch himmelblauen Fittichen der Erfüllung.
So mußte es kommen, wahrhaftig!
Experimentieren, also.
Und er durchschmeckte, durchspürte, durchstöberte, durchstocherte,
durchschnupperte sich, selber sich selbst, peinlichst, ob er nichts entdeckte,
in tausend qualvollen Reizungen, mit hochgezwungenen Brauen, vorgedrücktem
Rückgrat und eingekniffenen Hüften, gekrampft, beinahe.
Aber da kam es, allmählich.
Allmählich.
Aber sicher.
Beseligend.
Erlösend.
Berauschend, wie feiner Duft.
Nein - die Zunge!
Die Zunge mußte er festhalten. Nur keine Zersplitterung, jetzt.
Zwar, allerdings, es schien etwas wie Geruch dabei, neben dem Geschmack.
Aber festhalten, und standhaft! Die Zunge! nur die Zunge.
Und er klemmte sie zwischen die falschen Zähne, daß sie festlag,
leiszitternd, in keuchender Erwartung, mit ahnenden Poren und gereckten,
tastenden Wärzchen.
Wenn er nur die Spur nicht verlor!
Wenn er nur nicht ermüdete, wenigstens!
Da!
Der Lohn, der Sieg! Immer deutlicher.
Der Form nach walzig, heranrollend, näher und näher - braun,
schmutzigbraun, lechzend, verzückt, ermattet, verröchelnd,
verstöhnend,
mit einem Stich ins Aschgraue, aber nur ganz leise.
Aber waren das nicht die Augen? Die Zunge? Ja so. Also.
Und er schloß die Lider, schwer herab, wie lackierte und verschwollene
Jalousieen, aber kräftig, mit Entschluß. Die Zunge! Nur die
Zunge.
Das war es.
Und da kam es, von der anderen Seite.
Von der richtigen.
Auf der Zunge, ganz nur. Untadelhaft.
Typisch, beinahe.
Tropenarom, kraftbrezelnd, und doch knospenhaft zärtlich und mild
wie ein junger Kuß ...
Manila!
Ja.
Da warf er die Lider zurück, gierheulend wie ein hungriges Raubtier,
endlich über der Beute, und stürzte den Blick herum, und erhaschte
ein Ladenfenster, und riß die Tür' auf, schmetternd, und
durchwühlte
den Vorrat mit bebenden Fingern, und, abgeschnitten , angebrannt, hinaus
und fort, saugend, jauchzend, pustend, in kurzen, wilden Bissen, gehässig,
beinahe. Und immerfort. Ja, das war es.
Und nicht einmal bezahlt, nämlich!
Vergessen, in der Eile. Gleichviel.
Aber das war es.
von einem guten Schüler Hermann Bahrs
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