Theorie
und Geschichte der Parodie / Teil II
von Theodor
Verweyen
Inhaltsverzeichnis:
I.
Einführung und Begründung des Vorlesungsgegenstandes
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
1. „Parodie”: Geschichte der Wortverwendung
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
2. „Kontrafaktur”: Terminologische
Erneuerung eines Begriffs der Literaturgeschichte
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
3. Terminologische Entscheidungen
zu „Parodie” und „Kontrafaktur”
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
4. Parodie und Urheberrecht
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 1. Die pseudo-homerische „Batrachomyomachia” als Beispiel hellenistischer
Epos-Parodie
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 2. Die Parodie im Mittelalter: am Beispiel parodistischer Verarbeitungen
in Heinrich Wittenwilers „Der Ring”
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 3. „Die Dunkelmännerbriefe” („Epistolae obscurorum virorum”):
ein Beispiel humanistischer Satire und Parodie
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 4. Parodie und Travestie im barocken Roman: Grimmelshausens „Simplicissimus
Teutsch”
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie:
1. Friedrich Nicolai: „Eyn feyner
kleyner Almanach” - Parodie aus dem Geist der Aufklärung
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie:
2. Die Parodie als Klassik-kritisches
Mittel: am Beispiel einer Schiller-Parodie A.W. Schlegels aus der Zeit
um 1800
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie:
3. Parodistische Literaturkritik im
19. und 20. Jahrhundert: von Ludwig Eichrodt bis Eckhard Henscheid
Literaturhinweise
Lenore
fuhr ums Morgenrot
Die Parodie-Sammlung der Erlanger
Liste.
4.
Parodie und Urheberrecht
Nur dem ersten Anschein nach gehört
dieses Unterkapitel nicht in das II. Hauptkapitel „Begriffsgeschichten
und Begriff”. Bei etwas näherem Augenschein nimmt sich das Problem
von ‚Parodie und Recht’ jedoch ganz anders aus. Zudem kann ein plausibler
Zuordnungsvorschlag des Problems logischerweise erst im Anschluß
an die terminologischen Entscheidungen erfolgen – ein Hinweis mehr darauf,
daß Terminologie auch lebensweltlich viel relevanter ist, als vordergründige
Terminologie-Kritik sich träumen läßt. Dafür ein besonders
illustratives, weil wohl unmittelbar bekanntes Beispiel: die parodistische
Version ALCOLIX auf eine der erfolgreichsten Comic-Figuren der Welt, auf
ASTERIX.
Februar 1989
bringt der Münchner Saga-Verlag die Asterix-Parodie „Falsches Spiel
mit Alcolix” heraus – eine dreißigseitige Parodie. Sie zeigt den
amerikanischen Regisseur Steven Spielbein, der auf dem Gelände von
„Comicitta” einen Film mit „action und special effects” drehen will. In
seinem Drehbuch gelingt den Amerikanern, was Julius Caesar dreißig
Jahre vergeblich versuchte: die Eroberung eines nordfranzösischen
Dorfes. Auch die GIs versuchen es zunächst mit Gewalt. Doch die Bewohner
trinken einen Beaujolais Primeur, der sie unbesiegbar macht. Ein Lazarettarzt,
dessen verwegene Züge entfernt an eine bekannte Maus erinnern, zeigt
schließlich, daß die Eroberung mit ‚fast food’ und Marketing
effizienter ist. Aus dem Dorf wird ein Vergnügungspark. – Spielbeins
Arbeit wird immer wieder durch den Schlendrian der französischen Darsteller
behindert. Besondere Schwierigkeiten macht die männliche Hauptrolle:
Der alternde Mime hängt lallend am Tresen und lamentiert darüber,
daß er nie etwas anderes spielen darf als den properen Gallier, dem
auch nicht das kleinste Laster gegönnt wird. – Zwischen den Kulissen
taucht ein Urheberrechtsanwalt auf, dem übel mitgespielt wird. Mal
explodiert etwas in seiner Hand, mal springt ein Marsupilami auf den Kopf.
Überhaupt geben sich Dutzende von bekannten Comic-Figuren die Ehre:
Charlie Brown, Garfield, Lucky Luke, das HB-Männchen, aber auch Schauspieler
wie Lee Marvin, Jack Lemmon oder Woody Allen. 1
Soweit Figurenpersonal und plot des
„Falschen Spiels mit Alcolix”! Der Berliner Zeichner und Cartoonist Jens
Jeddeloh hat zwei Jahre an diesem größeren Wurf gearbeitet.
Als „Alcolix” dann auf den Markt kommen sollte, mußte der Münchner
Saga-Verlag aufgrund früherer Urheberrechtsprozesse und -urteile –
wie etwa des Disney-Urteils gegen die satirische Zeitschrift PARDON – befürchten,
daß das brisante Verhalten einer Asterix-Parodie unterbunden werden
würde. Die Befürchtung bestand zu Recht. Asterix garantiert außerordentlich
satte Gewinne. Bis 1989 erschienen 28 Bände in 30 Sprachen, allein
in Deutschland wurden 65 Millionen Exemplare abgesetzt. Über den Erlös
aus Werbe- und Filmrechten kann man nur spekulieren. So kam es denn, daß
die Anwälte durch eine einstweilige Verfügung den Vertrieb des
Alcolix-Heftes „wegen Urheberrechtsverletzung und Wettbewerbsverstoß”
stoppen wollten: Sie bezeichnen „Falsches Spiel mit Alcolix” nicht als
Parodie, sondern als Plagiat. Damit war nicht nur ein Prozeß im Gange
mit dem lockeren Streitwert von 500.000 DM. Es war den Juristen zugleich
ein Begriffsproblem der allerfeinsten und allerteuersten Sorte aufgeben.
Der Rechtsjournalist referiert: In Deutschland den Plagiatsvorwurf zu formulieren,
ist nicht schwer, denn keiner der 143 Paragraphen des Urhebergesetzes regelt
die Parodie als selbständige Kunstform:
„Der Parodist
steckt in der Zwickmühle: er muß von der Vorlage übernehmen,
damit sein Witz wirkt. Da die meisten Parodien wenig schmeichelhaft ausfallen,
erübrigt es sich, um Erlaubnis zu fragen. Im deutschen Recht steht
der Parodist – oder sein Verleger – immer mit einem Bein im Gerichtssaal.
Der notwendige Schutz des geistigen Eigentums ist so weit gefaßt,
daß es mit etwas Talent zum Sophismus immer möglich ist, eine
Parodie als Plagiat darzustellen.” 2
Die gerichtliche Auseinandersetzung
um ALCOLIX – oder, wie es in flotten Prozeßberichten beispielsweise
der FAZ hieß, die kriegerische Auseinandersetzung „fernab von Gallien”
„nicht mit Zaubertränken und Hinkelsteinen, sondern mit den Paragraphen
des Urheberrechts” – endete mit einer Verurteilung des Parodisten im Münchner
Urteil. Zu einer Verurteilung konnte es nach Auffassung des Gerichtes u.
a. aus folgendem Grund kommen: Zwar braucht das parodierte Werk nicht gänzlich
zu „verblassen”, ja es muß sogar erkennbar bleiben, damit die Bezugnahme
sichtbar wird. Aber das in der Parodie selbständig Geschaffene, so
die Richter, „muß von solcher Eigenart sein, daß ihm die eigentliche
Bedeutung zukommt und der entlehnte Teil nur als Anknüpfungspunkt
für den parodistischen Gedanken in Erscheinung tritt”, wenn also im
Anschluß an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs „das Vorbild,
der Anklang, die Anknüpfung für die Parodie nur ein ‚notwendiges
Mittel’ sein dürfen.” 3
Sie sehen, wie ein wenig liberales,
verengtes und zudem einseitiges Parodie-Verständnis sich auswirkt.
Gottseidank ist nun zumindest die rechtswissenschaftliche Diskussion weiter
als die momentane Praxis der Rechtsprechung. Das zeigt die Dissertation
von Gangolf Hess von 1993, die belegt, daß der Rechtswissenschaft
wie der rechtlichen Praxis an einem trennscharfen Parodiebegriff gelegen
sein muß, um nicht, wie im Falle des ASTERIX-ALCOLIX-Streits, „ohne
Not das Profitdenken eines humorlosen Nachlaßverwalters” zu honorieren.
G. Hess sucht nach einer exakten Klärung des „Parodiebegriffs”. Durch
zwei Extreme kann dabei der Rahmen abgesteckt werden, in dem die Klärung
zu erfolgen hat: Würde das Urheberrecht „nur vor der vollkommen identischen
Reproduktion” schützen, wäre es gewiß „ein recht stumpfes
Schwert”. Sollte andererseits aber eine vom Urheberrecht zugelassene „freie
Benutzung” einer fremden Vorlage nur dann vorliegen, wenn bei der Benutzung
„die Züge des geschützten Werkes verblassen”, wäre damit
schon das Urteil über die Parodie gesprochen, da sie „ja geradezu
darauf angewiesen (ist), Elemente des parodierten Stückes im Vordergrund
zu belassen.” 4
Hess plädiert folgerichtig für die Berücksichtigung der
kultur- und vor allem literaturwissenschaftlichen Parodie-Diskussion, „da
ohne musischen Bezug (...) dieses Spezialgebiet des Rechts nicht zu meistern”
ist. 5
Er prüft somit die literaturwissenschaftlichen Vorschläge zur
Definition von „Parodie” und bevorzugt dabei „von verschiedenen vertretenen
Auslegungen zum Parodiebegriff die jeweils engere”, um sie im Hinblick
auf die ‚verwandten’ Schreibweisen (Kontrafaktur, Pastiche, Travestie)
mit ihrer je eigenen Urheberrechtsproblematik trennscharf markieren zu
können. 6
Daß sechs der Parodie- und Kontrafaktur-Arbeiten von Verweyen/Witting
dazu eine entscheidende Rolle spielen, sei nur angedeutet. Der Parodiebegriff
von G. Hess ist weitgehend kompatibel mit literaturwissenschaftlichen Parodie-Definitionen:
„Parodie” – so
seine Bestimmung - „ist aufzufassen als Schöpfung, die ein anderes
Werk, eine Werkgattung oder eine Stilrichtung nachahmt und dabei in beabsichtigter
Weise Komik und antithematische, d. h. gegen die Vorlage oder deren engeres
Umfeld gerichtete Kritik für denjenigen erkennbar zum Ausdruck bringt,
der die Vorlage kennt und das zur Wahrnehmung einer Parodie erforderliche
intellektuelle Verständnis besitzt.” 7
Aufgrund dieser liberalen, rechtswissenschaftlich
interessanten sowie kultur- und vor allem literaturwissenschaftlich fundierten
Parodie-Definition wäre der Schöpfer des ALCOLIX nicht verurteilt
worden. Und es ist schon ein eigenes paradox Ding, daß derselbe französische
Verlag Les Éditions Albert René, der in Deutschland klagte
und Recht bekam, eine Parodie mit dem Titel ISTERIX in Frankreich juristisch
nicht zu verfolgen bereit zwar. Denn in Frankreich können Humoristen
unbefangener mit fremdem Gedankengut umgehen. Dort sieht das Urhebergesetz
die Parodie sogar ausdrücklich vor: in weiser Erkenntnis dessen, daß
Parodieren, Persiflieren, Karikieren einen nicht unerheblichen Teil des
Erfolges von Comics ausmachen. 8
1
“Falsches Spiel mit ALCOLIX. Die Parodie”. Text und Zeichnungen von Jens
Jeddeloh. Unter Mitarbeit von Stefan Mittag und Karl Hoche, München
(Saga Verlag Hans Gamber) o.J. (1989). – Die Wiedergabe der Fabel nach
Ralph Geisenhanslüke: “Asterix contra Alcolix. Plagiat oder Parodie
– ein Streit um geistiges Eigentum”, in: DIE ZEIT v. 12.05.1989. Vgl. Rudolf
Gerhardt: “Asterix bei den Juristen. Von der Parodie zum Plagiat ist es
nur ein kleiner Schritt/Ein Münchner Gerichtsurteil”, in: FAZ v. 31.08.1991.
2
Geisenhanslüke, “Asterix contra Alcolix”.
3
Vgl. Gerhardt, “Asterix bei den Juristen”.
4
Gangolf Hess: Urheberrechtsprobleme der Parodie, Baden-Baden 1993 (= Schriftenreihe
des Archivs für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht, Bd. 104),
S. 31, 38f., 40.
5
Hess, Urheberrechtsprobleme, S. 11.
8
Vgl. Geisenhanslüke, Asterix contra Alcolix.
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